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PM: „Man fühlt sich hier manchmal wie ein Schüler zweiter Klasse“ – Missstände an hessischer Förderschule

Am 10.03.2021 erreichte die Landesschüler*innenvertretung Hessen (im Folgenden LSV genannt) ein Brandbrief des Personalrates und der Elternvertretung der Brentanoschule in Linsengericht. Darin wurden eklatante Mängel sowohl an der Ausstattung als auch an den Zuständen der Räume und des Schulgebäudes beschrieben. Zwei Landesvorstandsmitglieder der LSV, Julian Damm und Malte Weber sowie der Kreisschulsprecher des Main-Kinzig-Kreises Özcan Erbaşaran besichtigten daraufhin am 23.03.2021 die Förderschule, um sich ein eigenes Bild von der Situation vor Ort zu machen.

Als Förderschule ist es die Aufgabe der Brentanoschule ihre Schüler*innen vor allem auf die praktischen Aspekte Kochen, Werken, und Informationstechnik vorzubereiten. Abgesehen von der frisch renovierten Küche stellt sich dies jedoch in den vorhandenen Räumlichkeiten als große Herausforderung für die Lehrkräfte heraus. So wurden die Werkräume seit der Erbauung der Schule in den 1970er Jahren weder renoviert, noch wurden die Maschinen den aktuellen Anfordernissen angepasst. Auch der einzige Computerraum sollte sich im späteren Verlauf der Besichtigung als unzureichend erweisen.

Barrierefreiheit existiert an dieser Schule nicht! So befinden sich die einzigen Behindertentoiletten in einer Grundschule auf einem benachbarten Grundstück. Ein Antrag auf die Installation eines Aufzugs wurde abgelehnt. Eine Lehrkraft berichtet, dass ein Schüler, der wegen einer Operation mehrere Wochen im Rollstuhl saß, deswegen von mehreren Personen die Treppe hochgetragen wurden musste, um den Klassenraum erreichen zu können.

In einem ganz besonders erschreckend Zustand befinden sich die Toiletten. Diese können nur vom Schulhof aus betreten werden. Über den Toilettenkabinen wurden Gitter installiert, um ein Überqueren der Kabinenwände zu verhindern, anstatt die Wände bis zur Decke zu erhöhen. Die daraus resultierende Atmosphäre entspricht eher einem Gefängnis als einer Schule. Erschwerend kommt hinzu, dass durch die Enge der Kabinen die Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt ist.

In der Mädchentoilette befindet sich nur ein einziger Mülleimer, welcher von Kabine zu Kabine geschoben werden muss, um Hygienemittel entsorgen zu können. Eins der Jungenpissoirs ist verschimmelt.

Der Computerraum ist nicht nur während der Pandemiesituation unzureichend. In dem beengten Raum befinden sich nur 12 PCs für die Schulklassen, welche bis zu 16 Schüler*innen groß sind. Diese PCs, welche erst nach langer Ladezeit einsatzbereit waren, sind die Rest-PCs, welche eine andere Schule des Kreises abgegeben hat, als sie durch den „Digitalpakt Schule Hessen“ neue Geräte erhielt. Im Gegensatz zu anderen Schulen des Kreises, die mit PCs, Beamern und Dokumentenkameras in jedem Raum ausgestattet sind, verfügt neben der Küche und dem Naturwissenschaftsraum nur ein einziger weiterer Klassenraum der Brentanoschule über einen fest installierten Beamer. Die wenigen Laptops und mobilen Beamer sowie die einzige Dokumentenkamera müssen sich die Klassen leihweise teilen. Wenn die Kamera mit einem der Beamer von einer Lehrkraft aufgebaut wurde, ist ein großer Teil der Stunde bereits verstrichen.

Während des Onlineunterricht haben Schulen Tablets erhalten, um die Schüler*innen damit zu versorgen, welche zuhause auf kein passendes Gerät zurückgreifen können. Die 20 funktionierenden Tablets der Schule sind jedoch deutlich zu wenig. Eine Lehrerin berichtet, dass sie während der Pandemie für die Kommunikation mit ihren Schüler*innen auf das Festnetztelefon und die postalische Zusendung von Unterrichtmaterialien zurückgreifen musste.

Auf eine Vielzahl neuer Geräte durch den „Digitalpakt Schule Hessen“ konnte sich die Schule nicht freuen. Diese werden so lange nicht genehmigt, bis die Schule mit einer ausreichenden Internetverbindung versorgt wird.

All diese genannten gravierenden Mängel verursachen auch bei den Schüler*innen ein eher mulmiges Gefühl, gegen welches einige Lehrer vorgehen, indem sie ihre Schüler*innen in den Vordergrund stellen und dabei Materialien teils aus eigener Tasche finanzieren und Stunden übernehmen, für die sie nicht bezahlt werden. So erzählt Schulsprecherin Finja Hornung:

„Man fühlt sich als hätte man nicht die Chance so zu lernen wie die anderen, auch wenn man auf der Förderschule ist und langsamer lernt, sollte man auch das Gleiche haben wie die anderen Schüler. Man fühlt sich hier manchmal, wie ein Schüler zweiter Klasse, ohne dass man etwas daran verändern kann. Viele Schüler mögen die Schule wegen der Lehrer, die sich bemühen die Schule besser zu machen.“

Wie jeder weiß, ist Digitalisierung ein fester Bestandteil unserer Gesellschaft, welcher schon gar nicht mehr aus der Schule wegzudenken ist. Besonders zur Vorbereitung der Schüler*innen auf ihren späteren Lebensweg ist es sehr wichtig, sie auch auf die digitalisierte Welt vorzubereiten. Nichtsdestotrotz schildert der Personalratsvorsitzende große Bedenken, wie die Schule diesem Auftrag mit der aktuellen technischen Infrastruktur nachkommen soll:

“Den Kolleginnen und Kollegen der Brentano-Schule ist es wichtig, dass unsere Schüler, die oft im privaten Bereich schon nicht immer ausreichend über digitale Medien verfügen und den Umgang damit schulen können, noch zusätzlich durch die mangelnde Ausstattung an der Schule den Anschluss an die fortschreitende Digitalisierung verpassen. Sogar im Handwerk, welches in der beruflichen Orientierung immer ein wesentlicher Bereich war, werden mehr und mehr digitale Anwendungen zum Standard. Um unsere Schüler fit für diesen Bereich zu machen, ist es dringend notwendig, den Umgang damit gerade auch in der Schule zu trainieren. Sollte dies nicht erfolgen können, werden unsere Schülerinnen und Schüler noch weitere Nachteile in Kauf nehmen müssen.”

Nach dem Tagesbesuch der Schule erkannten alle Anwesenden, dass sich die drastischen Mängel aus dem Brandbrief bewahrheitet haben.

“Ich persönlich würde in dieser Schule aufgrund der drastischen Mängel nicht unterrichtet werden wollen!” so der Ausschussleiter für Digitalisierung der LSV Hessen, Malte Weber.

Die beschriebene Situation der Schule steht deutlich im Kontrast zu den Aussagen des Hessischen Kultusministers, Herrn Prof. Dr. R. Alexander Lorz:

Digitalisierung ist für das Gelingen von Schule jetzt und in Zukunft einer der wichtigsten Aspekte. […] Ein Schwerpunkt ist der Ausbau der technischen Ausstattung der Schulen. Gemeinsam mit den Schulträgern verfolgen wird das Ziel, die notwendige Hard- und Software im Unterricht für alle Schülerinnen und Schüler in ausreichendem Maß zur Verfügung zu stellen […].

Daher fordern wir die zuständigen Stellen dringend auf umgehend zu handeln und Modernisierungsmaßnahmen unverzüglich einzuleiten, sodass sich die Schule durch Veränderungen zu einer modernen und zukunftsorientierten Schule entwickelt!

Eines stellen die Landesschüler*innenvertretung Hessen und die Kreisschülervertretung Main-Kinzig- Kreis besonders in den Fokus: In unserem Schulsystem sollten sich niemals Schüler*innen, wie in einer Zwei-Klassen-Gesellschaft fühlen. In der Schule muss garantiert sein, dass jede Schülerin und jeder Schüler chancengerechte Bildung erhält.

Wir hoffen zwar, dass es sich bei dieser Schule im Main-Kinzig-Kreis nur um einen Einzelfall handelt und in keiner anderen Schule Hessens solche Zustände herrschen. Doch leider ist diese Schule kein Einzelfall. Viele Schulen in Hessen sind nicht im “besten Zustand”. Sie wurden schlichtweg nicht korrekt modernisiert und beim Digitalpakt ausgelassen. Wir, die Schüler der LSV Hessen und der Kreisschülervertretung des Main-Kinzig-Kreises, sind der Meinung, dass auf keiner Schule Hessens solche Zustände herrschen sollten!

Sollte es dennoch Schulen in einem ähnlichen Zustand geben, hoffen wir, dass die Verwaltungen vor Ort Maßnahmen treffen werden, um diese Mängel schleunigst zu beheben.