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PM: 2. Hessische Schüler*innenbefragung deckt zahlreiche Missstände an Hessens Schulen auf!

Hessisches Kultusministerium zum Handeln aufgefordert.

Sehr geehrte Vertreter*innen der Presse,

Sehr geehrte Interessierte,

im vergangenen Schuljahr hat die Landesschüler*innenvertretung Hessen eine landesweite Schüler*innenbefragung durchgeführt. Abschlussschüler*innen aller Schulformen sowie Schüler*innen der gymnasialen Oberstufe, der Berufsschulen und der Förderschulen haben sich beteiligt und Fragen jeglicher Art zum hessischen Schulsystem beantwortet. Es handelt sich um die einzige, aktuelle, repräsentative Umfrage ihrer Art für die Schüler*innen in Hessen, ihr voraus ging lediglich die hessische Schüler*innenbefragung der LSV Hessen aus den Jahren 2017/18.

Die Corona Pandemie und ihre Folgen haben das Bildungssystem stark strapaziert und seine Schwächen noch weiter verdeutlicht. Wie fatal jedoch die Situation der Schüler*innen während des Lockdowns war, ist schockierend. Gut ⅔ aller Schüler*innen bemängeln die Durchführung des digitalen Unterrichts. Es hat grundlegend an strukturierter Organisation der Schulen sowie des Kultusministeriums gemangelt. Verschiedene Schulen teilten mit, dass es keine klaren Kommunikationskonzepte gab. Lehrkräfte nutzten unterschiedliche Plattformen, Wege und Methoden, um mit den Schüler*innen zu kommunizieren und ihnen die Unterrichtsinhalte zu vermitteln. Inmitten dieses puren Chaos war es unmöglich, den Überblick zu behalten.

Die Plattformen, welche das Land Hessen zur Verfügung stellte, waren mit den Anforderungen des alltäglichen Schullebens vollkommen überfordert. Laut Kultusministerium soll das „Schulportal“ das Allheilmittel der Digitalisierungskrise an hessischen Schulen sein, dieses ist als Lernplattform hessenweit einheitlich und datenschutzkonform, jedoch zum aktuellen Zeitpunkt eher ein nett gemeinter Anfang als eine fertiggestellte Lösung. Um den Flickenteppich der verbreiteten Lernplattformen zu ersetzen, fehlt es dem Schulportal an Funktionen und den Schulen an Anreizen, sich von ihren etablierten Systemen zu trennen. Die nicht vorhandene Medienkompetenz eines Großteiles der hessischen Lehrkräfte steht einer Umstellung im Wege, dabei ist sie eine Selbstverschuldung des Landes. Die Fortbildung von Lehrkräften, insbesondere im Kontext der Digitalisierung, darf nicht ausschließlich das Resultat von Eigeninitiative der jeweiligen Lehrkraft sein, sondern muss verpflichtend und flächendeckend durch das Land organisiert und getragen werden.

Aber nicht nur das Schulsystem wurde beansprucht. 90 % der Gymnasiast*innen gaben an, dass die Schule eine psychische Belastung für sie darstellt, wohingegen die Schüler*innen aller anderen Schulformen zu 80 % diese Information angaben. Genauer teilte etwa eine*r von drei Förderschüler*innen mit, dass er*sie sich durch die Schule extrembelastet fühle.

Während der Coronazeit wurde dies durch fehlende räumliche Trennung von Schule und Privatleben sowie des Nichtvorhandenseins einer festen Tages- und Arbeitsstruktur verstärkt. Viele hatten keine Rückzugsräume, welche die mentale Trennung sonst unterstützt hätten. Zusätzlich hierzu waren sowohl Lehrkräfte als auch Schüler*innen durch ständig erwartete Erreichbarkeit außerhalb der eigentlichen Schulzeit kontinuierlich gestresst.

Das Erliegen des öffentlichen und privaten Lebens in den letzten zwei Jahren ließ neben der inhaltlichen Bildung noch stärker die soziale Entwicklung auf der Strecke. Für den überwiegenden Teil der Schüler*innen, insbesondere der jüngeren, steht in der Schule nicht der Lernstoff, sondern der soziale Aspekt im Vordergrund. Dieser beeinflusst maßgeblich die Entwicklung von Heranwachsenden, welche während der Pandemie und in der Aufarbeitung nahezu ohne Berücksichtigung geblieben ist. 

Das angeblich allumfassende Großprojekt zur Kompensation namens “Löwenstark”, der ganze Corona-Stolz unseres Kultusministers Lorz, schwächelt in den sozialen Aspekten jedoch noch stärker als bei der inhaltlichen Aufarbeitung. ⅔ der befragten Schüler*innen gaben an, noch nie etwas von dem Projekt gehört zu haben. Lorz betitelt es dennoch als “schnellen und effektiven Weg, den Schulen unter die Arme zu greifen.”

Viele Schüler*innen wünschen sich durch die Erfahrungen mit dem Distanzunterricht einen Wandel des Schulsystems. ¾ der Befragten gaben an, dass der aktuelle Unterricht nicht lebenspraktisch genug sei. Vor allem im gymnasialen Bereich liegt die Quote mit 90 % besonders hoch.

Neben den Lehrinhalten wird auch die Leistungsbewertung kritisiert. Für 70 % der Teilnehmenden stellt die aktuelle Benotung ein großes Problem dar, denn das numerische Notensystem sei subjektiv, intransparent und ungenau. Zudem gibt es keine Auskunft über reale, individuelle Stärken und Schwächen der Schüler*innen.

Neben den grundsätzlichen Unterrichtskonzepten und der Benotung fragte die zweite hessische Schüler*innenbefragung weitaus mehr Bereiche ab. So kam heraus, dass in Schulen Mülltrennung grundsätzlich zu wenig Beachtung findet. So gaben über die Hälfte aller Befragten an, nicht ausreichend in der Schule darüber gelernt zu haben, wie Müll korrekt zu trennen sei. Dies ist auch nicht verwunderlich, denn Schulen bieten hierzu keinen Rahmen. Ein großer Teil der Befragten gab an, dass an ihren Schulen keine Mülltrennung betrieben würde. Häufig wird der Müll von Schulen in Müllsortierungsanlagen getrennt, doch Schulen sind hier sowohl moralisch als auch allgemeinbildend in der Pflicht, Mülltrennung von jung an im Klassenzimmer zu integrieren und zu thematisieren.

Ein weiteres, nicht ausreichend behandeltes, gesellschaftliches Problem ist Rassismus. Erschreckende 70 % der Schüler*innen gaben an in der Schule entweder von Rassismus betroffen gewesen zu sein oder diesen bezeugt zu haben. Besonders besorgniserregend sind die 25 % der angegebenen Fälle, in welchen Rassismus von Lehrkräften ausging. Interessant ist die Feststellung, dass an Förderschulen mit 56 % deutlich seltener Erfahrungen mit Rassismus gesammelt wurden.

Mit dem öffentlichen Personennahverkehr findet in der Schule ein weiteres gesamtgesellschaftliches Thema einen Platz. Die Daten der hessischen Schüler*innenbefragung legen offen, dass öffentliche Verkehrsmittel noch immer das von Schüler*innen am meisten genutzte Transportmittel für den täglichen Schulweg sind. Lange Umsteigezeiten und unnötige komplizierte Fahrtwege machen diesen dennoch extrem unattraktiv. Nicht zuletzt das 9€-Ticket hat dieses Problem erneut verdeutlicht. Dennoch zeigen diese Beobachtungen umso mehr die Bedeutung von kostengünstigen öffentlichen Transportmitteln. Deshalb fordern wir als die einzig gesetzlich legitimierte Vertretung aller hessischen Schüler*innen einen weiteren Ausbau des ÖPNV sowie eine Erweiterung des Anspruches des Hessentickets als kostenfreie Transportmöglichkeit auf alle Schüler*innen, unabhängig von Klassenstufe, Wohnort oder Distanz zur jeweiligen Schule.

Die gesamten Ergebnisse der 2. Hessischen Schüler*innenbefragung finden Sie auf unserer Website www.lsv-hessen.de. Für Rückfragen stehen wir jederzeit gerne unter post@lsv-hessen.de zur Verfügung.